Der Artikel Kollektiv und Organisation untersucht den in den Organisationswissenschaften noch relativ unbekannten Kollektivitätsansatz im Hinblick auf sein organisationswissenschaftliches Potenzial.
Stellen wir uns eine typische Problemsituation aus dem Alltag internationaler Großkonzerne vor: Im Rahmen von Offshoring-Aktivitäten wird die Produktentwicklung eines produzierenden Unternehmens mit Stammsitz in Deutschland teilweise nach Indien verlagert. Diese Lösung scheint für alle Beteiligten nur Vorteile zu bieten: Das Unternehmen stellt sicher, dass kein deutscher Ingenieur seinen Arbeitsplatz verliert, in Indien kann man auf ein junges Team hervorragend ausgebildeter und hochmotivierter Mitarbeiter zurückgreifen, die sich um die passgenaue Entwicklung neuer Produkte für den asiatischen Markt kümmern sollen. Trotzdem funktioniert die nun notwendig gewordene Kooperation zwischen den deutschen und indischen Ingenieuren nicht, es kommt zu heftigen Konflikten zwischen den Teams, teilweise tritt völlige Funkstille ein. Die Ergebnisse verzögern sich bzw. bleiben unbefriedigend.
Die geschilderte Situation kann als Beispiel für die allgemeine Herausforderung von Unternehmen dienen, innerhalb der Organisation mit Differenzen umzugehen, bzw. diese zu bewältigen. Während unsere Vorstellung von Organisationen lange Zeit durch Kohärenz- und Homogenitätsannahmen geprägt war, lässt sich die Diagnose zunehmender Differenzerfahrungen in heutigen Unternehmenswelten mit ihren unüberschaubaren Organisationsstrukturen, komplizierten Kooperations- und Wettbewerbsverhältnissen an über den Globus verteilten Standorten und Märkten nicht mehr von der Hand weisen.
Die klassischen modernen Organisationstheorien, deren Erkenntnisinteresse vor allem darin lag zu beschreiben, wie es Organisationen gelingt, funktionsfähige und einheitliche Strukturen zu schaffen, scheinen bei der Erklärung und Behandlung solcher Phänomene an ihre Grenzen zu kommen. Seit dem der sozialwissenschaftliche Cultural Turn in den 1980er Jahren mit dem Konzept der Unternehmenskultur und in den 1990er Jahren mit dem Ansatz des Interkulturellen Managements schrittweise auch in der Unternehmensführung ankam, wurde es daher modern, kulturwissenschaftliche Erkenntnisse bei der Beschreibung organisationaler Phänomene punktuell miteinzubeziehen. Systematische Erschließungen des kulturwissenschaftlichen Potenzials für die zeitgenössischen Organisationswissenschaften sind jedoch noch selten.
Der Artikel Kollektiv und Organisation macht sich daran, diese Lücke zu schließen. Er erscheint in der neu gegründeten wissenschaftlichen Zeitschrift Kultur und Kollektiv der Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft der Universität Regensburg in der ersten Ausgabe 2014.